Vergangenheitsbewältigung – Rezension zu “Das Geheimnis der Queenie Hennessy” von Rachel Joyce

By | 22. März 2024

Cover Das Geheimnis der Queenie Hennessy“Eigentlich haben Dinge meist kein Ende, sondern verschwinden einfach. Meist haben sie auch keinen Anfang, sondern finden sich eben ein.” (S.432f)

Zum Inhalt:

“Das Geheimnis der Queenie Hennessy” von Rachel Joyce ist nach “Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry” der zweite Band in der Trilogie. So geht man als Leser bereits mit einem ordentlichen Rucksack an Erwartungen – und v.a. auch Neugier – an die Lektüre des Textes, will man doch erfahren, wie der Blickwinkel von Queenie sich “anfühlt”.

Die Autorin rollt in der ihr eigenen verspielt geradlinigen Art das Leben ihrer Kardinalfigur auf. Ob dies nun die Streiflichter auf ihre Eltern sind, die Lebens- und Liebesgeschichte oder ihre akademische und berufliche  Laufbahn. Wie ein Sonnensystem reihen sich alle Ereignisse in Queenies Leben retrospektiv um das Doppelsternsystem Harold und dessen Sohn David. 

Dabei beobachtet, erzählt und gewichtet Queenie aus der Sicht eines “Menschen mit Verfallsdatum” (S.72) im Hospitz die Episoden ihres Werdegangs. Ein Mitbewohner des Hospitzes in dem sie auf ihren Tod wartet, beschreibt es treffend: »Wer durch diese Türen reinkommt, hat keine Rückfahrkarte«, sagte Mr. Henderson (S.82). Die Auseinandersetzung mit der abschließenden Endgültigkeit des eigenen Todes, dem Alltag in einem Hospitz und der Fokussierung auf die scheinbare Selbstverständlichkeit der intensiv erlebten Gegenwart legt einen permanent mitschwingenden ambivalenten Grundtenor unter die Erzählung. “Aber manchmal verabschiedet man sich nicht, weil man glaubt, etwas gehe noch weiter, obwohl es in Wirklichkeit schon vorbei ist.” (S.45) 

Berührend ist die harte und doch wieder liebevolle Schilderung eines mit-erlebbaren Lebens. Eines Lebens mit mittelgroßen Hoffnungen, herben Enttäuschungen, irritierenden Widersprüchen und einem tiefen Verlangen nach Liebe, Geborgenheit, Sinn und Aufgabe. Bedürfnisse von so basaler Natur, dass sich der Leser durchaus mitgenommen fühlt in dem Sog, mehr über diese Queenie zu erfahren, von der schon im ersten Buch oft die Rede war. Der Tausch der Perspektive findet dabei organisch statt, ohne irritierende Friktionen, aber sehr wohl mit Aha-Erlebnissen, erkennend, dass jeder sein Leben auf eine nur ihm eigenen Weise konstruiert.

Ungeachtet all der Tiefschläge und Hochs, die Rachel Joyce ihre Queenie erzählen lässt, bereitet doch nichts darauf vor, welchen Einblick der Leser am Schluss der Erzählung zu verdauen hat. Für mich war es jedenfalls starker – jedoch stimmiger –  Tobak, doch umso mehr hallt die Melodie des Textes nach.

Fazit:

Der Roman erinnert in seiner vereinnahmenden Tiefe an “The Machinist” mit Christian Bale oder “Fight Club” mit Edward Norton und Brad Pitt. Dies nicht wegen der Story per se, vielmehr aufgrund des Settings, der Führung des Lesers, des Arbeitens mit als selbstverständlich gesetzten Erwartungen, Antizipationen auf eben der Seite des Lesenden. Und dies, obwohl die Brotkrumen bereits gesät sind: »Wir gehen wie selbstverständlich davon aus, dass unser Oberstübchen etwas Stabiles ist, etwas aus einem Guss. Aber unsere Fantasie kann mit uns die wildesten Bocksprünge machen.«” (S.243)

“Ich bin zu folgendem Schluss gekommen. Wenn wir uns entsprechend bemühen, finden wir immer eine rationale Erklärung für Dinge, die wir nicht verstehen. Aber vielleicht ist es eigentlich weiser, einfach hinzunehmen, was wir nicht verstehen, und es damit gut sein zu lassen. Erklären heißt manchmal schmälern. Und was spielt es für eine Rolle, ob ich etwas anderes glaube als Sie? Wir teilen alle dasselbe Ende.” (S.491)

Aus meiner Sicht ein wunderbarer, wenn auch nicht immer leicht verdaulicher Text. Um den Text genießen zu können, empfiehlt es sich, den ersten Band der Trilogie auch zuerst zu lesen 😉 .

Zum Buch:

Außergewöhnlich ist an diesem Buch einiges auch abseits des Textes: Zum einen fällt das Format und die abgerundeten Ecken, sowohl der Buchdeckel als auch des Buchkörpers, ins Auge. Zum anderen das liebevoll stimmig gestaltete Umschlagbild von Andrew Davidson, welches sich harmonisch in die Trilogie einfügt. Ebenso sauber wie der Druck und die Typografie ausgeführt sind, präsentieren sich auch Buchblock und Buchdeckel des Hardcovers. Das Lesebändchen verleiht dem Ganzen eine beinahe schon edel zu nennende Note. Ein in seiner Ganzheit wunderschön gehaltenes Buch, das somit auch äußerlich dem Text gerecht wird.

Buchdaten:

  • Titel: “Das Geheimnis der Queenie Hennessy”
  • Autor: Rachel Joyce
  • Umfang: 494 Seiten
  • Verlag: Fischer; September 2016
  • Übersetzerin: Maria Andreas
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3-5965-2122-7
  • Größe: 14,5 x 9,3 x 2,8 cm

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