Vielgestaltig – Vielfarbig – Rezension zu “Schwarz und Weiß” von Sigrid Kleinsorge

By | 3. November 2018

"Schwarz und Weiß"- Sigrid Kleinsorge“Wie schwer es ist, sich der Realität zu stellen, dem nicht für Möglich gehaltenen, dem so ganz anders Gedachten und Gewünschten, das war ihre Arbeit in den folgenden Wochen.”

Zum Inhalt:

Henriette und Konrad Vögeles fünzigster Hochzeitstag steht ins Haus. Ein Fokus- und Reflexionspunkt, sich anbietend die Lebensbänder von Söhnen, Schwiegertöchtern, Großeltern, Enkeln und nicht minder jene von Freunden – auch Geliebten –, Parteifreunden zu reflektieren, neu zu gewichten.

Drei Söhne, davon ein gemeinsamer, deren Wege unterschiedlicher nicht sein hätten können, versuchten sie gemeinsam auf eine Welt vorzubereiten, deren Werte einem tiefgreifenden Wandel unterlagen. Einem Wandel, dem nicht selten nur ein unreflektiertes Verharren in Tradition entgegengehalten wird, welches einen jungen agilen Geist schon per definitionem zu Widerstand anstachelt.

Walter, Henriettes Sohn aus ihrer ersten Beziehung, hat mit dem von Konrad aufgebauten Familienunternehmen ebensowenig am Hut wie Markus, Henriettes und Konrads gemeinsamer Sohn. Einzig Anton, den Konrad aus seiner ersten Ehe mitbringt, kann sich mit dem Betrieb identifizieren. Die Eckpunkte der Lebenswege Henriettes und Konrads, Geschichten vom Verlust von Mutter, Vater, Frau, vom Aufwachsen bei der Tante, von kulturell-geschichtlichem Erbe, einem nicht immer hilfreichem Rucksack nicht unähnlich, sind es, von denen aus Licht auf die Vorgeschichten von Ahnen ebenso wie Nachfolgern und Weggefährten geworfen wird.

Nicht nur verklärendes, weiches Licht, sondern jenes scharf ziseliernde das Schwächen, Verluste, Beschämendes und Verletzendes an einen Pranger stellt, dessen Urteil nicht selten der Betroffene selbst in unnachgiebiger Härte über sich fällt. Geprägt von einer Vielzahl von Herkünften und Kulturen breitet sich eine Genealogie von – man ist versucht zu sagen – zwingender Schicksalshaftigkeit aus, die bezeichnend für einen irisierend vielgestaltige Gesellschaft in der wir heute leben ist, die aber ebenso einen Wandel plastisch dokumentiert, wie ihn nur die Zeit selbst zu realisieren vermag.

Zeit ist auch jene Größe, die das Timbre der Erzählung untermalt. Sei es als Broterwerb der Vögeles, deren Betrieb Kuckucksuhren herstellt, oder sei es die Aneinanderreihung der prägenden Ereignisse, die jedes Familienmitglied als Lebenshistorie ihr eigen nennt. In dieses Geflecht der Zeit eingewoben finden sich kulturelle Fäden, die von Polen über Afrika, vom Alltagsleben der Massai über die Haute Couture der Modemetropolen, hin zu Drogen-Reha-Boot-Camps und dem Wunsch nach einfachem Leben auf dem Land mitten in Deutschland reichen.

Ob es Sharifa, Markus’ Frau, mit ihren afrikanischen Wurzeln, Konrad mit seiner zutiefst deutschen Tradition oder Benjamin als wenig stereotyper Priester sind, jeder Charakter trägt zum Gewebe der Erzählung bei, die mit Fug und Recht als Lesestoff vereinnahmt.

Fazit:

Sigrid Kleinsorge gelingt es erneut in feiner unaufdringlicher, aber nichts desto trotz fesselnder Art und Weise den Leser auf eine Spurensuche, ein menschliches Abenteuer mitzunehmen. Beinahe willkürlich greift sie einen scheinbar beliebigen Lebensfaden, jenem der Ariadne nicht unähnlich, auf und geht ihm nach, anfangs den Eindruck erweckend sich in einem Labyrinth menschlicher Unwägbarkeiten, schicksalshafter Abzweigungen, ja einer Flut an Abzweigungen in individuellen Entwicklungswegen zu verlieren. Jedoch eben nur scheinbar. Trotz der primär zufällig erscheinenden Knotenpunkte, webt sie einen Familienroman von beeindruckender Dichte, glaubwürdiger Handlung, sowie nicht selten frappanter Wiedererkennungsmomente.

Schreiben über Ausprägungen real möglichen Lebens zeichnet die Texte der Autorin in einer Intensität aus, die einen literarischen Nachhall erzeugen, der weit über die letzte Seite hinaus wirkt, nicht selten zu einem Déjà-vu führend, geht man mit offenen Augen seinem alltäglichen Leben nach.

Zum Buch:

Die Printausgabe des Buches für welches der Lauinger  Verlag firmiert macht mit ihrem 240seitigen Buchblock einen wertigen Eindruck. Die Rückenverleimung ist stabil, die Buchdeckel sind fest und der Seitenbedruckstoff angenehm in der Haptik. Die sparsame Verwendung von Farbe im überwiegend schwarz/weiß gehaltenen Layout verleiht dem Band eine dezent elegante Erscheinung. Unterstrichen wird dies noch durch eine unaufdringliche Typografie, die zum einen durchgängig ist und zum anderen die grobtextuelle Einteilung lesefreundlich unterstützt.

Buchdaten:

  • Titel: “Schwarz und Weiß”
  • Autorin: Sigrid Kleinsorge
  • Umfang: 240 Seiten
  • Verlag: Lauinger Verlag; Auflage: 1 (1. November 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3765091247
  • Größe: 19,7 x 13,2 x 4,5 cm

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