Drei Fragezeichen – “Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?” von Claas Triebel

By | 21. Juli 2023

Wer bin? Was kann ich? Was will ich? von Claas Triebel - Kompetenzenbilanz Claas Triebel Coaching“Es ist Menschen und Systemen zuzugestehen, dass es kompliziert ist, die eigenen Potenziale und Kompetenzen zu erkennen und zu benennen. Eben deshalb muss man sich intensiv um dieses Thema kümmern. Es ist nicht selbstverständlich” (S.34)

Zum Inhalt:

Die Ära der Patchwork-Biografien

Dass der Beruf fürs Leben, wie er vielleicht früher noch möglich war, in unserer schnelllebigen Zeit so gut wie nicht mehr realisierbar ist, kann als gegeben betrachtet werden. Die Erosion dieser “Sicherheit”, stellt viele Arbeitnehmer immer öfter, in immer kürzeren Abständen vor die Situation sich anpassen, verändern, neu orientieren zu müssen. “Es ergeben sich Patchwork-Biografien, die aus den unterschiedlichsten Flicken zusammengenäht werden, aus unterschiedlichsten beruflichen und privaten Identitäten. Es ist sinnvoll und wichtig, dass man dieses Patchwork gestaltet. Der Flickenteppich der eignen Biografie sollte einem selbst gefallen, man sollte ihn proaktiv gestalten und nicht nur retrospektiv betrachten.” (S.10) Meist ist dies ein disruptives Geschehen, welches die Person verunsichert oder gar in ihren psychischen und seelischen Grundfesten erschüttert. Ebendiese Dreh- und Angelpunkte mit ihrem Potenzial der Neuorientierung setzen voraus, dass man seine Fähigkeiten, seine Kompetenzen, aber auch seine Ziele und Werte kennt. Hier kommen die Fragen der Kompetenzenbilanz, salopp kondensiert im Buchtitel “Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?” von Claas Triebel ins Spiel.

Potenzialorientiertes Karrierecoaching – die Kompetenzenbilanz

Im Untertitel “Potenzialorientiertes Karrierecoaching” wird bereits ein klares Bekenntnis zum Fokus, dem der sogenannten Kompetenzenbilanz, abgegeben. Sie stellt das Herzstück dieses Coachingprozesses dar, welchen Claas Triebel in seinem Text ausführlich beschreibt. “Diese [die Kompetenzenbilanz] ist ein strukturierter Reflexions- und Coachingansatz,” (S.9). Eben diese Struktur zieht sich als roter Faden durch den Text. Der Leser wird eingeladen sich an einem Rahmen zu orientieren, dessen visuelle Darstellung auch in zahlreichen Grafiken im Buch seinen Niederschlag findet. Nach einem kurzen Ausflug in die Geschichte der Kompetenzenbilanz, deren Grundlagen, sowie Verweise auf die bereits fundierte wissenschaftliche Arbeit in diesem Zusammenhang, wird sie im größeren Kontext des Karrierecoachings eingeordnet. Hier bricht Triebel eine Lanze für das Coaching per se, weitab vom elitären Werkzeug. “Coaching sollte keine exklusive Veranstaltung sein, sondern dort stattfinden, wo die potenziellen Klienten sind.” (S.23) Die unbedingte Ausrichtung auf den Klienten ist es auch, die den Coach in die Pflicht nimmt und in der ebenso richtigen wie provokanten Aussage mündet, “Coaching stellt die zentralen Fragen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Berufswahl betreffen. Coaching hilft Menschen dabei, ihre Grundrechte wahrzunehmen.” (S.21) Triebel greift auch immer wieder auf bereits in der wissenschaftlichen Literatur diskutierte Ansätze zurück, sei es im Zusammenhang mit Begriffen wie “Beschäftigungsfähigkeit”, “Laufbahnidentität” oder “Ressourcenaktivierung”, aber auch wenn Konstrukte wie das “Rubikon-Modell” oder der “freie Wille” gestreift werden.

Fähigkeiten, Kompetenzen, Werte, Ressourcen – Begriffsklärung

Sprache ist ein ganz wesentliches Werkzeug im Coachingprozess. Aus diesem Grund ist es unumgänglich, Begrifflichkeiten zu klären, ehe man mit ihnen hantiert. Triebel verwendet auf die Definition von Begrifflichkeiten, auch unter dem Verweis darauf, dass diese in der Literatur nicht immer gleichen Inhaltes waren, viel Akribie. Er legt das SKATE-Modell – eine Hilfestellung “um Begriffe daraufhin zu prüfen, ob sie wirklich »kompetenzwürdig« sind” (S.137) – dar und gliedert Kompetenzen mittels Leitfragen in vier Bereiche, wobei sich ein Brückenschlag von kompetenzorientierter Beratung in Richtung psychologischer Intervention beinahe organisch ergibt, arbeitet man doch hier wie da mit vergleichbaren Prozessschritten. Klar wird dargelegt, an wen sich die Kompetenzenbilanz in ihrer »klassischen« Form richtet, dass es stets der Freiwilligkeit des Coachees bedarf und was es mit den drei Fragen auf sich hat, die immer wieder auftauchen. “Im Zentrum stehen bei all diesen Prozessen immer die drei Fragen: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? In dieser Reihenfolge. Die eigene Identität, das eigene Vermögen ist die Basis dessen, wohin man sich entwickeln möchte und kann.” (S.66)

Kompetenzenbilanz als Prozess

Den umfangreichsten Teil des Buches verwendet Triebel darauf, den (Rahmen-)Prozess der Kompetenzenbilanz darzulegen. Beginnend mit dem Auftrag des Coachees an den Coach, über Zielklärung, Biografiearbeit und biografischer Sammlung, geht es weiter in die spannende Ableitung solider Kompetenzbegriffe aus Fähigkeiten, deren nachweisliche Existenz aus dem (dokumentierten) Werdegang des Coachees resultiert. Diese Kompetenzen wiederum werden nicht nur als verbale Konstrukte im Raum stehen gelassen. Sie werden in den Kontext einer Matrix (fachliche, methodische, soziale, personale Kompetenzen) verortet. Dabei gibt es methodisch eine sehr klare Ansage: “In jedem potenzialorientierten Karrierecoaching liegt ein wesentlicher Teil der Arbeit bei den Coachees selbst.” (S.116)

Dieser Rahmen, in dem sich der Prozess entfaltet, stellt sicher, dass er nicht “ausufert” (S.65), dass das Ziel stets im Fokus bleibt und dass den Wirkprinzipien Erleben, Erkennen, Wollen, Machen die Gewichtung zukommt, die ihnen im jeweiligen Stadium des Ablaufes gebührt. Somit sind die wesentlichen Schritte heruntergebrochen: Biografische Sammlung erstellen, Lebensprofil in biografischen Arbeit festhalten, Fertigkeiten analysieren, Kompetenzen erarbeiten und belegen, nächste Schritte (S.165f). Obwohl für jeden Menschen, jeden Coachee das Ziel ein sehr individuelles ist, können Ergebnisse festgehalten werden, die in jedem Falle aus dem Prozess resultieren: Coachees sollen “ihre eigenen Fähigkeiten besser erkennen, benennen und auch für diese argumentieren können.” (S.145)

Den Abschluss des Prozesses bildet eine schriftliche(!) Bilanz. Auch hier wiederum verdichtet sich die zu Beginn angetretene Reise in einer Struktur, welche zum einen schon allein über ihre Verschriftlichung eine Gewichtung erhält, aber auch WERTschätzung ausdrückt und ein erreichtes Ziel würdigend dokumentiert. Triebel betont stets aufs Neue, wie wichtig das im Laufe des Lebens erworbene Wissen und die Kenntnisse sind, um beruflich Erfolg und Zufriedenheit zu erlangen. Besonders schön zusammengefasst in diesem Satz auf den letzten Zeilen des Buches: “Ich schreibe bewusst Erfolg und Zufriedenheit, denn in diesem Buch und im Ansatz eine kompetenz- und potenzialorientierten Beratung ist Erfolg ohne Zufriedenheit nicht erstrebenswert.”(S.188)

Fazit:

“Dies ist also ein praxisbezogenes Buch. Die theoretischen Grundlagen der Kompetenzenbilanz und die zahlreichen Evaluationsstudien sind an anderer Stelle bereits ausführlich publiziert worden.” (S.12) Claas Triebel hebt immer wieder hervor, dass es bei der Kompetenzenbilanz – wie allein das Wort schon besagt – um die Fokussierung auf die Potentiale, die Ausrichtung auf die positiven Möglichkeiten des Coachees geht. Ausgehend von diesem zutiefst wertschätzenden Menschenbild entwickelt sich eine Reise für Coach und Coachee, die klaren Strukturen folgend stets das Empowerment des Coachees im Fokus behält. “Die Kompetenzenbilanz ist entwicklungsorientiert und betont damit vor allem die Ressourcen der Coachees, um zu zeigen, wie diese Entwicklung eingeleitet und zu ihrem Ziel geführt werden kann.” (S.155) Den Text durfte ich im Rahmen meiner Ausbildung zum Kompetenzenbilanz-Coach kennenlernen und kann ihn jedem Interessierten ans Herz legen. Als begleitende Lektüre zu den Schulungen bringt sie vieles zusammengefasst auf den Punkt, vermittelt erhellende Hintergrundinformationen, kann weiters auch als ausführlicher Leitfaden herangezogen werden und bietet dank der ausgewählten Literaturliste auch noch weiterführende Verknüpfungen.

Zum Buch:

Das Paperback ist in der Größe angenehm handhabbar, typografisch klar strukturiert und ohne unnötige stilistische Schnörkel. Das klare Schriftbild sorgt für eine hohe Lesbarkeit, wobei der Text nur selten durch Grafiken oder Tabellen unterbrochen wird. Einzig in den Tabellen ist die Schriftgröße teils grenzwertig klein. Was den soliden Gesamteindruck des Buches etwas schmälert, ist die leider etwas schlechte Verleimung des Buchblockes. Sollte man planen, den Text als Arbeitsunterlage häufiger zu verwenden – übrigens eine durchaus gute Idee 😉 -, so würde ich hier auf die elektronische Auflage zurückgreifen. Die Form, in der Claas Triebel dem Leser den Inhalt vermittelt, ist der Verständlichkeit verpflichtet, somit klar und kommt mit einem überschaubaren Fachwortschatz aus, ohne dabei Kernaussagen zu verwässern oder unscharf abzugrenzen resp. darzulegen.

Aus meiner Sicht ein wunderbar stimmiger Text und ein Werk, das in jeder Coaching-Praxis mit diesem Themenschwerpunkt seinen Platz finden sollte.

Buchdaten:

  • Titel: “Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?”
  • Autor: Claas Triebel
  • Umfang: 194 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; 2022
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3-608-89279-6
  • Größe: 21,5 x 13,5 x 1,7 cm

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