Hintergrund – Rezension zu „Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie“ von Kurt Ludewig

By | 10. Oktober 2023

Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie“An Sinn gebundene Systeme, also psychische und soziale Systeme, können nicht sinnfrei leben oder handeln. Daraus ergibt sich das eigentliche Grundaxiom menschlicher Kommunikation : »Man kann nicht nicht Sinn machen«.” (S.46)

Zum Inhalt:

„Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie“ von Kurt Ludewig kommt als nicht recht umfangreicher Text in die Hände der Leserschaft. Wie so oft bewahrheitet sich auf hier die Prämisse, dass es nicht auf die Menge der Worte, sondern vielmehr deren In-/Gehalt und Treffsicherheit ankommt. Ludewig ist Vertreter der ersten Generation jener Therapeuten, welche die systemische Therapie etablierten, wissenschaftlich beschrieben und so Wegbereiter für deren entsprechende Akzeptanz waren.

Als eigenständiger Ansatz entstand die systemische Therapie in den achziger Jahren als Evolution der Familientherapie. Die Methoden, Techniken und Herangehensweisen in kompakter Form, v.a. aber verständlicher Weise, darzustellen ist der vorliegende Band angetreten. Dabei teilt er sich in zwei Teile: Schwerpunkt des ersten Teils ist die Herausarbeitung dessen, was unter “systemischem Denken” zu verstehen ist, während der zweite Teil sich mit der klinischen Theorie über die systemische Therapie- und Beratungspraxis befasst.

Kapitel drei stellt aus meiner Sicht den Dreh- und Angelpunkt im Gebäude der Systemik von Ludewig dar. Wolfgang Wilscher hat dies bereits treffend beschrieben: “Das dritte Kapitel nimmt trotz seiner Kürze eine Schlüsselstellung in der Gesamtdarstellung ein. Hier entwirft Ludewig sein „systemisches Menschenbild“, als Grundlage der Theoriebildung für systemische Theorie und Praxis. An dieser Stelle werden die Grundlagen für eine klinische Praxis gelegt, die die Freiheitsmöglichkeiten der Menschen respektiert. Dieser Respekt ist nicht nur ethisch notwendig, sondern auch für den Erfolg therapeutischer Prozesse unabdingbar. Ludewig beschreibt darüber hinaus den Menschen als biopsychosoziale Einheit, benennt also die verschiedenen Systembereiche, die erst in ihrer Verknüpfung ein Bild des ganzen Menschen ermöglichen. Und er beschreibt den Menschen als kommunikatives Wesen; es gefällt mir sehr gut, dass er hier über die systemischen „Klassiker“ hinaus auf Bubers Dialogphilosophie zurückgreift und damit deutlich macht, dass die systemische Theorie selbst ja nur „auf den Schultern von Riesen“ etabliert werden konnte.” (Quelle: Systemagazin.de)

Was den zweiten Teil des Textes betrifft, kann man einen Theoretiker des konstruktivistisch-systemischen Ansatzes im Tun – genannt Praxis sehen. Ludewig elaboriert hier u.a. ein zentrales  Anliegen systemischen Tuns: „Problem-Anliegen-Auftrag-Ziele-Vertrag“. Immer wieder beeindruckend ist dabei für mich die Haltung, welche sich durch den systemischen Ansatz zieht: lösungs- und ressourcenorientiertes Handeln im Dienste des Klienten. “Die Unterscheidung vom Anliegen und Auftrag halte ich für eine zentrale Leitdifferenz zur Anleitung der Praxis. Sie hilft, klar zwischen dem zu unterscheiden, was die Klienten wünschen, und dem, was die Therapeuten für sinnvoll und möglich halten.” (S.79) Durch diese klare Fokussierung arbeitet Ludewig auf seinem Gang durch die Thematik auch den hohen Anspruch an Therapeuten heraus, welche sich diese Einstellung zu eigen machen: “Die Kompetenz des Therapeuten erweist sich darin, ein angemessener Anreger zur und Begleiter bei der Suche nach Ressourcen und Alternativen zu sein und dabei die eigenen Vorstellungen zurückhalten.” (S.85)

Freiheit und Selbstbestimmtheit sind bei allen Überlegungen Grundfesten der systemischen Therapie, an denen nicht zu rütteln ist, stets nach dem Leitprinzip, dass der Klient “der Experte für das eigene Leben ist.” “Systemische Therapie versteht sich als Dialog. Sie findet als kommunikatives, Sinn stiftendes Geschehen statt. Nicht als gezielte Reparatur und Korrektur einer mehr oder minder verdinglichten Struktur. Folgt man Anderson und Goolishian (1992), kann Psychotherapie als Dialog unter Experten verstanden werden, die ihren jeweiligen Sachverstand (Expertise) einbringen: der Hilfe Suchende als Experte für das eigene Leben, der Therapeut als Experte für die Durchführung therapeutischer Dialoge. Ziel des Therapeuten ist es, eine kommunikative Situation – systemtheoretisch gewendet: Randbedingungen – zu schaffen, die für die Hilfe-Suchenden nützlich ist bei dem Versuch, die gewünschte, aber bisher vermiedene Veränderung zu wagen. Die Hilfe-Suchenden setzen ihre Expertise im Rahmen der Therapie ein, um den Verlauf des therapeutischen Dialoges zu ihren Gunsten mitzugestalten und dort entstandene Impulse in ihre Lebenspraxis umzusetzen.” (S.96) Oder ebenso bezeichnend das folgende Zitat: “Die Würdigung der Klienten, das heißt für den Therapeuten, sich […] »neugierig« zu interessieren für bisher Geleistetes, Überstandenes und insgesamt für die Ressourcen und Möglichkeiten der Klienten, fördert deren Vertrauen und Kooperation und so auch die Bereitschaft, Hemmnisse und Vermeidungsstrategien aufzugeben.” (S.101)

Fazit:

Keine leichte Lektüre liegt vor den Lesern, die sich „Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie“ von Kurt Ludewig zu lesen vorgenommen haben. Jedoch wird die Herausforderung belohnt mit solidem Fachwissen, inspirierenden Fragestellungen, einer wunderbar positiven Einstellung zum Menschen und sehr, sehr vielen Details rund um die Theorie der Systemik. Zu guter Letzt werden auch darüber hinaus noch Wissbegierige mit einem sehr ausführlichen Literaturverzeichnis weiter geführt.

Zum Buch:

So geradlinig und ohne Umschweife der Text gehalten ist, so verhält es sich auch mit dem Buch. Solider Textfluss ohne typografische Escapaden, sowie didaktisch durchdachte Gliederung und sehr sauberer Druck bis hin zu den Liniengrafiken machen konzentriertes Lesen einfach. Der feste, folierte Paperbackumschlag umschließt den sauber verleimten Buchblock, der auch haptisch einen guten Eindruck hinterlässt. Einzig die sehr kleine Schrift in den zusammenfassenden Abbildungen dürfte nicht jedermanns Sache sein.

Buchdaten:

  • Titel: „Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie“
  • Autor: Kurt Ludewig
  • Umfang: 128 Seiten
  • Verlag: Carl-Auer Compact 2005
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3-89670-466.5
  • Größe: 19,7 x 13,2 x 4,5 cm

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